Libertarismus

Der Begriff L. (Libertarianisrn) wird in den
USA seit Beginn der 1930er Jahre, als soziali-
stische und sozialdemokratische Kreise sich
des Wortes ~Liberalismus` bemächtigten, oft
mit dem klassischen Liberalismus gleichge-
setzt. So werden im weiteren Sinne Henry
Hazutt, Friedrich A. von ~Hayek und Mii-
ton Friedman als Libertäre bezeichnet.
Der L. ist individualistisch orientiert. Vom
Konzept des Menschen als autonomen Indi-
viduums, dessen Handlungen das Ergebnis
von Wahl und Zweck sind, leitet sich die Phi
losophie der freien Gesellschaft ab. Der L. ist
gegenüber dem ~Staat skeptisch, ja teilweise
sogar ablehnend eingestellt und befürwortet.
die Maximierung der individuellen ~Freiheit
sowie ein möglichst uneingeschränktes Wir-
ken des freien Marktes. Von John Lockes Ei-
gentumstheorie leitet sich das libertäre
Axiom der Eigenherrschaft ab, d.h. das Indi-
viduum ist Eigentümer seiner Person, seiner
körperlichen und intellektuellen Fähigkeiten
und der daraus resultierenden Sachvermögen.
Diese Rechte dürfen nicht irgendwelchen
Verletzungen oder Interventionen seitens an-
derer Menschen unterworfen werden (liber-
täres Axiom der Nichtanwendung von Ge-
walt). Für den L. macht das Konzept von

~Rechten nur dann Sinn, wenn die Eigen-
tumsrechte mit den Menschenrechten iden-
tisch sind: "Zum einen, da Eigentum nur
Menschen zufallen kann, so daß ihre Eigen-
tumsrechte Rechte sind, die menschlichen
Wesen gehören, und zum anderen, da das
Recht der Person auf ihren eigenen Körper,
ihre persönliche Freiheit, ein Eigentumsrecht
auf ihre eigene Person ebenso wie ein ,Men-
schenrecht` ist" (Murray N. Rothbard). Viele
Libertäre betrachten` die Erhebung von Steu-
ern durch den Staat als Raub, da diese auf
Zwang beruht. Der L. tritt ganzheitlich für
wirtschaftliche und gesellschaftliche Freiheit
ein und lehnt den Erlaß sogenannter opferlo-
ser Verbrechen (Verbot von Drogen und se-
xuellen Handlungen von Individuen, die auf
Konsens beruhen, sowie die Zensur von Wort
und Bild) ab. Der L. gliedert sich in den Min-
archismus, d.h. die Postulierung des liberalen
Minimalstaats, und in den Anarchokapitalis-
mus, d.h. die Postulierung der Übernahme al-
ler, selbst der klassischen Staatsfunktionen
(Polizei, Militär, Gerichtshöfe, Geldwesen)
durch konkurrierende private Anbieter auf
dem freien Markt. Der amerikanische L.
greift auf Ideen Ralph Waldo Emersons,
Henry David Thoreaus, des jungen Herbert
Spencer, Auberon Herberts, John Lockes etc.
zurück, wobei die Ideen Ayn Rands ("Objek-
tivismus") eine Katalysatorwirkung hatten.
Der bedeutendste Repräsentant des Anarcho-
kapitalismus, Murray N. Rothbard, ein Schü-
ler von Ludwig von ~Mises, verknüpft die
Erkenntnisse der Österreichischen Schule der
Nationalökonomie mit dem naturrechtlichen
individualistischen Anarchismus Lysander
Spooners und Benjamin R. Tuckers; ähnliche
Ideen hatte allerdings bereits im 19. Jhdt. der
französische Nationalökonom Gustave de
Molinan entwickelt.
Eine andere Variante des Anarchokapita-
lismus, deren Hauptrepräsentant David
Friedman ist, gründet auf der utilitaristischen
Property Rights Theory der Chicago Schule
(Nationalökonomie). Die bedeutendsten
Minarchisten sind Ludwig von Mises, Bruno
Leoni, der junge Robert Nozick, John Hos-
pers, Tibor R. Machan, Eric Mack, Loren E.
Lomasky, Jan Narveson, Richard A. Epstein,
Gerard Radnitzky und, unter Vorbehalten,
auch Anthony de Jasay, ein Grenzgänger
zwischen klassischem Liberalismus und L.

Durch renommierte Think tanks wie das
Cato Institute (Washington), die Reason
Foundation (Los Angeles) und das Ludwig
von Mises Institute (Auburn/Alabama) wer-
den libertäre Zielsetzungen in Politik und
Wissenschaft verfolgt. Das Engagement der
USA in Vietnam, das die vorübergehende -
Einführung der obligatorischen Militär-
dienstpflicht nach sich zog, führte 1969 zum
Austritt der radikalen Libertären aus der kon-
servativen und republikanischen Organisa-
tion Young Americans for Freedom (YAF)
und zur Gründung der Society for Individual
Liberty, die mittlerweile zur libertären Inter-
nationalen avanciert ist. Die Einführung von
Lohn- und Preiskontrollen durch den repu-
blikanischen Präsidenten Richard Nizon
(1971) führte zum zweiten Exodus Libertärer
aus der YAF und der konservativen Bewe-
gung der USA sowie zur Gründung (1972)
der nach wie vor bestehenden Libertarian
Party, die bis 1989 drittstärkste Partei der
USA war. Mittlerweile ist wieder eine Annä-
herung weiter Teile der Libertären an die Re-
publikaner und die Konservativen festzustel-
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